Griechische Sommerbilder

 

Parthenon

 

 

 

D

er Höhepunkt fast einer jeden Griechenlandreise ist der Besuch des Burgberges von Athen, ein Besuch des Parthenons auf der Akropolis.

 

Wann immer man die griechische Hauptstadt betritt, wo immer man sich in ihr befindet,  hoch über allem Land ringsum, hoch über der Stadt leuchtet der Tempel  der jungfräulichen  Stadtgöttin und erfüllt einen jeden, der zu ihm aufschaut, mit Sehnsucht, ihm nahe zu kommen.

 

Zögernd entwirrt sich  das  geräuschvolle Labyrinth der Stadt. Ungern öffnen sich die engen Gassen  und geben Raum für leere Plätze, auf denen  die Reste eingestürzter antiker Bauwerke verstreut umher liegen. Steinig - steil, an seinen Rändern von  staubbedecktem Buschwerk bewachsen, windet sich schließlich der Pfad hinauf zur Akropolis, immer wieder den Blick freigebend über die in blassen Dunst gehüllte, sich zuweilen bis zum Horizont erstreckende griechische Hauptstadt.  Gnadenloser noch dem himmlischen Glühen ausgesetzt, führen dann die hohen Stufen der Propyläen zum heiligen Berg der Göttin.

 

Doch dann: Was immer man über den Tempel Athenas schon gelesen haben mag, wieviele seiner Bilder man schon im Herzen trägt, mit welchen Erwartungen man auch gekommen ist: Die Kraft der alle menschlichen Begriffe übersteigenden, in unermeßbare Höhen strebenden Marmorsäulen,  umflossen und durchtränkt von einem nicht in dieser Welt entspringenden Lichtstrom -  der erste Anblick des Parthenons läßt das Ich für eine Lange Weile wie ausgelöscht erscheinen. Es soll Menschen geben, welche in Tränen glauben, hier nicht Menschenwerk vorzufinden, sondern das Werk der Himmlischen.

 

Wie ist es möglich, daß dieses vor zweieinhalb Jahrtausenden errichtete, seither den mannigfachsten Verwandlungen und Zerstörungen unterworfene Bauwerk auch heute noch zu vermitteln imstande ist, was seine Erbauer bewegte: die Gegenwart der Götter?

 

Der Parthenon, der Tempel der jungfräulichen Stadtgöttin Athens, ist zusammen mit anderen Heiligtümern nach dem Sieg über die Perser erbaut worden, um die von den Persern zerstörten Bauten des Burgberges zu ersetzen. Zentrum des Tempels war das in seinem dämmrigen Allerheiligsten, im Naos  aufgestellte Standbild der Athena Parthenos, eine ca. zwölf Meter hohes Holzfigur, bedeckt mit Elfenbein und Gold. Der fensterlose Innentempel  war an den Längsseiten einreihig, an den Schmalseiten doppelreihig  von  Marmorsäulen umgeben, welche womöglich das Andenken an die Weltsäule wachhalten sollte, die, der Sage nach, hoch im Norden direkt unter dem Polarstern steht und das Himmelsgewölbe trägt. Zwischen dem Dach und dem Architraph, den  aufliegenden Quersteinen, lief rund um den Tempel ein Marmorfries. Durch dreigliedrige Pfeiler voneinander getrennt, waren hier in 92 bemalten Reliefplatten, sogenannten Metopen, die mythischen Kämpfe  der Hellenen dargestellt: Kämpfe mit den Giganten, mit den Kentauren, mit den Amazonen und den Trojanern. Jedes einzelne Ringen vermittelte gleichermaßen die nicht zu erschöpfende Freude der Hellenen an der Kraft des menschlichen Körpers sowie das Bewußtsein, selbst den gewaltigsten Körperkräften des jeweiligen Gegners überlegen zu sein. Die beiden  Giebelfelder an den Schmalseiten waren mit ebenfalls farbigen Marmorskulpturen ausgeschmückt: Der Westgiebel über dem Eingang zeigte die Geburt der Göttin aus dem Haupt ihres Vaters Zeus, der Ostgiebel den siegreichen Wettstreit der Göttin mit Poseidon um die Herrschaft über Attika: Poseidon läßt eine Salzquelle aufspringen. Götter und Helden aber entscheiden sich für den von Athena gespendeten Ölbaum.

 

Um den Innentempel lief im Schatten der umgebenden Säulen  ein weiterer mit farbigen Reliefs ausgestalteter Fries. Gezeigt wurde der Festzug des alle vier Jahre stattfindenden Festes für die Stadtgöttin, der Panathenäen, bei welchem die gesamte Stadtbevölkerung zum Tempel  Athenas zog, um ihr zu opfern und ein neues Gewand zu überbringen. Von der östlichen, dem Ankommenden zugewandten Schmalseite  aus lief der Zug zweigeteilt an den beiden Längsseiten entlang, um  über dem Tempeleingang an sein Ziel gelangen. Am Ende des Zuges bereiteten sich die Epheben, die Wehrpflichtigen der Stadt, zum Fest vor. Einige von ihnen saßen bereits auf den ungesattelten Pferden und hatten sich,  die schönen Gesichter ernst nach vorn gewendet, dem Zuge angeschlossen. Ihnen voran lenkten  hellockige Wagenführer ihre Streitwagen. In lange Mäntel gehüllt, vertieft in Gespräche, schritten die bärtigen Stadtväter hinter den  geführten Opfertieren und den Trägern von Wasserkrügen und Weihgaben. Angeführt wurde der Festzug von den schönsten Frauen und Mädchen der Stadt, welche das neu gewirkte Gewand für Athena trugen. Um dieses zu empfangen, war Athena zusammen mit den anderen Unsterblichen eigens vom Olymp zum Burgberg von Athen herabgestiegen, und, fröhlich versammelt,  erwarteten die Götter an der westlichen Schmalseite über dem Tempeleingang  die Huldigungen der Menschen.

 

Können aber Sterbliche  auf Dauer die Nähe der Himmlischen ertragen? Kurz nach der Fertigstellung des Tempels wurde Phidias, der  Schöpfer der Athena Parthenos und allen plastischen Tempelschmucks des Parthenons wegen Gotteslästerung und  einer angeblichen Unterschlagung vor das Volksgericht gezogen. Der Künstler, ca. 60 - jährig, starb noch vor Abschluß des Verfahrens im Gefängnis.

 

Anschließend entbrannte zwischen Athen und Sparta, den gemeinsamen Siegern über den asiatischen Feind, ein 30 - jähriger gnadenloser Krieg, welcher die Kraft der Hellenen für immer verzehrte.

 

Für noch acht weitere Jahrhunderte aber wurde die Göttin in ihrem Tempel geehrt. Dann erschienen  auf der Akropolis die Jünger des fremden  Gottes, um den Burgberg zum Bischofssitz und das Parthenon zur Kapelle ihrer eigenen jungfräulichen Göttin umzugestalten. Das Bild der Athena Parthenos wurde hinausgetragen. Bis heute weiß niemand, wohin. In die heilige Dämmerung des Naos zog die unbefleckte Gottesmutter Maria ein. Was am Tempel störend erschien, wurde zerschlagen, z.B. die Geburt Athenas im Ostgiebel und fast alle gut sichtbaren Metopen auf der Nordseite. Der Innenfries blieb auf wunderbare Weise unbeschädigt.

 

Abgemagerte Heilige bezogen am Fuße des Burgberges Säulenstümpfe als ständigen Wohnsitz. Athen, die schönste Stadt der Hellenen, verkam im christlichen Byzanz zur Schutthalde.

Nach dem Sieg des christlichen Westens über  das christliche Byzynz entstand um die Propyläen eine ansehnliche Ritterburg mit einem alles andere überragenden Turm,  „Frankenturm“ genannt. In das Parthenon  zog die Jungfrau Maria der römischen Kirche ein. Auf dem Vorplatz wurden Ritterspiele abgehalten.

 

Rund 250 Jahre danach eroberten die Türken die Stadt. In der Propyläenburg residierte nun der türkische Stadtkommandant. Im Erechtheion installierte sich ein Harem, im Parthenon mit beigefügtem  Minarett eine Moschee.

 

Im Jahre 1687 versuchten die von den Türken vertriebenen Venezianer noch einmal, im östlichen Mittelmeer Fuß zu fassen. Sie belagerten die Akropolis. Die bedrängten Muselmanen demontierten den noch vollständigen kleinen  Niketempel, um   die Burg zu einer Festung zu erweitern. In der Meinung, daß Allah sein Haus schützen werde, verbrachten sie sämtliche Waffen und Munition in die säulenumstandene Moschee. Doch Allah war ferne. Ein gezielter Schuß der Venezianer auf das Parthenon brachte das eingelagerte Pulver zur  Explosion. Das Tempeldach samt Minarett, ungefähr die Hälfte der Säulen und große Teile des Innentempels stürzten ein. Das Parthenon wurde zur Ruine. Auf der Akropolis zogen  die Venezianer ein. Der siegreiche Kommandant  beschloß, die noch vorhandenen Skulpturen des Westgiebels seiner Heimatstadt zuzuführen. Allein beim Versuch, diese von ihren Halterungen zu lösen, stürzten sie zu Boden und zersprangen dröhnend zu Stücken. Nicht lange darauf mußten die Venezianer wieder gehen. Die Türken kehrten zurück, erklärten den Burgberg Athens wieder zur Festung und bedeckten seine Hänge mit Wohnanlagen für die Besatzung. Um Baumaterial zu bekommen, verbrannten sie von den umherliegenden Teilen, was immer ihnen geeignet erschien, in ihren Kalköfen. Im entleerten Inneren des Parthenons entstand eine zweite Moschee, diesmal jedoch ohne krönendes Minarett.

 

Als die Kraft der Besatzer im Laufe der Zeit dahinschwand, richteten sich die Blicke der Westeuropäer vor allem auf das antike Athen. Der Engländer Lord Elgin, zu Beginn des letzten Jahrhunderts britischer Botschafter an der Hohen Pforte, zeigte sich erfolgreicher als der Venezianer. Er erwirkte von dem in seinen Entscheidungen  schon nicht mehr souveränen Sultan die Erlaubnis, auf der Akropolis arbeiten und dabei einige Steinblöcke als Eigentum betrachten zu dürfen. Darauf erschienen an die 400 Arbeiter auf dem Burgberg. Das, was vom  Parthenon verblieben war, wurde eingerüstet. Noch vorhandener Figurenschmuck, welcher sich als entfernbar erwies, sowie zu Boden gestürzte Teile von Plastiken wurden in Kisten gepackt und zu Verkaufszwecken in die angelsächsische Heimat verschifft. Es waren die Hälfte des  verbliebenen Frieses, vierzehn Metopen und fast alle noch vorhandenen Giebelfiguren.

 

„Räuber, Plünderer, Tempelschänder, Vandale und Steinhändler“ wurde er vom hellenenbegeisterten Lord Byron geschmäht. Das ebenfalls hellenenbesessene Europa war empört. Die Britische Regierung aber fällte ein weises Urteil über den Tempelraub: Der auf einen hohen Gewinn hoffende Steinhändler wurde gezwungen, seine Beute für die Hälfte seines Einsatzes an das Brtische Museum in London zu verkaufen. Dort im grauen Norden liegen nun all diese Abbilder der  Hellenen und ihrer schönen Götter bis zum heutigen Tage.

 

Nach der Befreiung der Griechen vom türkischen Joch fällten die eigentlichen Befreier, die Briten, wiederum eine weise Entscheidung. Nicht sie selbst, auch nicht die befreiten Griechen, sondern ein kleines, neutrales Land sollte den künftigen König stellen. So zog im Jahre 1833 der 17 - jährige Sohn des ebenfalls hellenophilen bayerischen Königs als Monarch in Griechenland ein. Ein Jahr später kam, ebenso vom bayerischen König geschickt, der ganz vom Geist der Hellenen durchdrungene Architekt Leo von Klenze nach Athen. Dieser bewirkte zweierlei: Zum einen verhinderte er eine weitere Neugestaltung der Akropolis zu einem griechisch - bayerischen Königssitz. Zum anderen ist es seiner Initiative zu verdanken, daß im Laufe der kommenden Jahre die Akropolis von den Zutaten aus ein und ein halb Jahrtausenden befreit wurde, welche die noch vorhandenen Reste des heiligen Bezirks überlagert hatten wie eine undurchdringliche Kruste. Zu der gewaltigen Arbeit des Schuttabladens kam dann die schwierige Aufgabe der Archäologen, das einst Gewesene, so gut es ging, aus den noch vorgefundenen Teilen  wiederherzustellen. Die Arbeit ist gelungen. Der Niketempel, das Erechtheion, die Propyläen und vor allem der Parthenon haben wieder die Gestalt, welche ihre Erbauer für sie vorgesehen hatten, und sie vermitteln den Beschauern wieder das, was die Hellenen einst in sie hineinlegten.

 

Ein Historiker schreibt: „Was wir heute sehen, verdanken wir „begnadeten, zähen, bescheidenen Künstlern; einsichtsvollen bayerischen Behörden, die sie gewähren ließen; einem bayerischen König, der seit Knabenzeiten von Griechenland schwärmte; und seinem Sohn, der König der Hellenen wurde und sich in der Rekonstruktion der Akropolis das schönste Denkmal setzte, das sich denken läßt.“ (Wolf  Seidl, Bayern in Griechenland, München, 1981, S. 243)

 

Die Unsterblichen haben ihr Zentrum nicht in Raum und Zeit. Sie können sich, wo und wann immer es  Sterbliche nach ihnen verlangt,   wieder zu ihnen herabneigen. Es waren Menschen aus dem Norden, welche die blauäugige Athena in sich trugen. Die einen verschleppten  vom Eigentum der Göttin, was sie transportieren konnten, in ihre Heimat. Die anderen haben das, was einst für die Göttin geschaffen worden war, am Ort seiner Entstehung wieder sichtbar werden lassen. Es sind Menschen aus den blassen Zonen der Erde, welche angesichts des Parthenons, angesichts dieses nicht mehr zu steigernden Ausdrucks der menschlichen Sehnsucht nach den Unsterblichen den Atem der Göttin spüren, die Nähe der unerreichbaren und doch tief in unserem Wesen ruhenden Götter.

 

Wie hoch Helios-Apollon auch am Himmel steht, mitten in seinem betäubenden Glanz beginnt er den Weg in die Nacht, beginnt er, seine Strahlen mit abschiednehmendem Silber zu füllen und Himmel und Meer aufglänzen zu lassen in der Sehnsucht nach dem  Licht, welches die Dunkelheit nicht kennt.

Wie flammend der Gott seine Geschöpfe auch umfaßt, immer umfaßt er sie  mit Trauer über den ihnen bevorstehenden Weg in die Tiefe. Immer aber umfaßt er sie auch in der Gewißheit, daß das, was sinken muß, wieder aufsteigt: zart, jungfräulich, silbrig schön; gleißend, quälend, voller Täuschung;  stolz und voll von glühender Grausamkeit.

 

 

Wenn irgendwo auf dieser Erde - beim Anblick des neu erstandenen Tempels der jungfräulichen Göttin der Hellenen können wir wieder lernen, was uns verloren gegangen ist seit unvordenklichen Zeiten, nämlich:

 

   „...daß das Geheimnis der Welt im Sichtbaren liegt und

    nicht im Unsichtbaren.“

    (Diwald, Große Ereignisse, Bd. I, S. 13).

 

 

-Ende-

 

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