Griechische Sommerbilder

 

 

T i e r e

 

 

Als die ersten Hellenen kamen, war das Land auch noch erfüllt von den Mitwesen der Menschen, die in den Bergen, an den Quellen, in den Wäldern ihre Wohnung hatten. Die Menschen begegneten den Tieren mit Furcht und Staunen.

Homer vergleicht seine Helden mit dem mächtigsten der Tiere, mit dem Löwen des Bergwaldes:

 

      „Jetzt wie ein Löw', im Gebirge genährt, der Stärke vertrauend,

       hascht aus der weidenden Herde die Kuh, die am schönsten

       hervorschien“ (Ilias, 17. Gesang, 61 f.)

 

Oder:

 

      „...........Wie ein bärtiger Löwe des Bergwalds,

       Welchen Hund' und Männer hinweg vom Gehege verscheuchen

       Rings mit Speer und Geschrei,,,,“                         

       ( Ilias, 17. Gesang, 110 -113)

 

Mit den Wäldern und Quellen sind auch die Tiere gegangen. Zwischen den Steinen und Dornen, unter den einsamen Bäumen regt sich kein Leben.

Durch die heiß flimmernden Lüfte dringt kaum noch ein Ruf.

 

Geblieben sind nur die Tiere, welche  der Mensch sich für immer zu seinen Knechten gemacht hatte.

 

Der Esel

 

Meist ist sein schmaler Körper  über und über mit Lasten bedeckt, von welchen der Mensch meint, daß er sie selbst nicht tragen  könne. Säcke, Körbe, Kisten, Pfannen, Sträuße, Müll, alles ist um ihn herum gebunden und geschnürt, so daß man ihn eigentlich für bewegungsunfähig halten müßte. Mit seinen zierlichen Hufen, mit seinen zarten Beinen jedoch, die ob der zu tragenden Bürde bei jedem Schritt zu zerbrechen drohen, sucht das Tier auf den steinigen, steilen Hängen seinen Weg. Den Kopf mit den überlangen Ohren gesenkt, den Blick leer auf den vor ihm liegenden Boden gerichtet, scheint dem Esel der Wille, die ihm auferlegte Last abzuwerfen, für immer verloren  gegangen zu sein.  Des Esels Schöpfer ist der Mensch. Der Mensch ist des Esels Gott. Der Mensch bestimmt, wie lange der Esel ihm zu  Diensten stehen muß. Der Mensch legt fest, wie lange das Tier, am Hals oder an den Füßen angebunden, im Glühen des  Lichtes auf seiner ausgedörrten Weide ausruhen darf. Wenn es nichts zu tragen gibt, sitzt der Mensch selbst, die Beine neben sich auf dem Boden schleifend, auf des Esels magerem Rücken.

 

 

 

 

So trägt der  Esel, was immer man ihm auferlegt. Er trägt und trägt,  ohne Aufbegehren, ohne Hoffnung, ohne Trost. Er trägt, bis seinen zierlichen Beinen für immer die Kraft gebricht, bis er fällt, um nicht mehr aufzustehen.

Sehr selten nur, zuweilen in der Nacht, wenn er seinen Schöpfer schlafend wähnt, ruft der Esel seinen Jammer hinaus in einem langen, klagenden, in einem herzzerreißenden Schrei. Für solch einen Schrei aber gibt es kein aufmerksames, kein mitleidiges Ohr. Des Esels Gott,  falls er von dem Schrei erwacht, wendet sich ab und schweigt.

 

Ziegen

 

Wenn ein Stück Land unter gewaltigen Mühen von den scharfkantigen Steinen und wehrhaften Dornen befreit  und  die graustaubige Erde mit rohen Mauern vor dem Neueindringen des Inselbewuchses geschützt ist, dann finden auf dem gewonnenen Boden zuweilen merkwürdige Bewegungen statt. Etwas sich vom Untergrund kaum Unterscheidendes springt unvermutet auf, läuft hierhin, läuft dorthin. 

 

 

 

 

Es schnuppert, es knabbert, es schmeckt,  wo es weder etwas zu schnuppern noch zu knabbern noch zu schmecken gibt, und unvermittelt, wie mitten in  einem Vorhaben anderen Sinnes geworden, steht die Ziege, steht der Ziegenbock still, hebt den Kopf mit den Lockenhörnern und schaut stumm mit gelben, durch einen dunklen Querspalt merkwürdig zweigeteilten Augen. Es sind Rätselaugen. Es sind Augen, welche trotz des langen Strickes um den Hals nichts von Unterwerfung zu wissen scheinen. Es sind Augen, welche der Herrschaft des Menschen spotten. Man könnte meinen, es seien noch immer die Augen des Satyr, welche dreist verlangend in den Tiefen des Waldes glühen.

 

 

Hunde und Katzen, welche der Mensch sich einst zu Kameraden schuf, sind in Griechenland der Aufsicht  des Menschen entglitten.  Sich nach Gutdünken vermehrend, durchstreunen  die Tiere das Land. Außerstande aber, sich ohne die Hilfe ihrer einstigen Schöpfer zu erhalten, folgen sie weiter des Menschen Weg. Wo immer sie ihn antreffen, umstreichen sie seine Behausungen, versuchen  sich Zutritt und Nahrung zu ertrotzen mit schmeichelnden Bewegungen, mit jammererfülltem Blick.

Meist sind es die an Tierelend nicht gewöhnten Touristen, welche den Hunger der Tiere stillen. Im Winter, wenn die Gäste ausbleiben, sterben die Katzen an Entkräftung, werden die Hunde vergiftet oder erschossen.

 

Hund

 

 

 

Die Hunde sind in Griechenland noch immer die gleichen, welche die Hellenen auf ihre Vasen malten: Langbeinige  Tiere von der Größe eines Schäferhundes mit Kurzhaarfell  in den unterschiedlichsten Brauntönen. Die Ohren, oft im   tiefen Braun der Augen, hängen lang zu beiden Seiten des Kopfes herab. „Griechischer Laufhund“ heißt es im Hundelexikon, „nur in Griechenland vorkommende, seit je ohne Beimischung gebliebene Rasse.“

 

Ein schon zu Jahren gekommenes Urlauberpaar aus schwermütig - nördlichen Landen wandert einsam an einem der vielen griechischen Strände. Es folgt ihnen in gemessenem Abstand  ein besonders magerer   braungelber Hund. Da beide  einen Sinn für die sprachlose Kreatur haben,   wenden sie sich immer wieder nach ihrer schüchtern - zähen Gefolgschaft um. Der Hund nimmt dies  jedoch nicht als Aufforderung, seinen Abstand zu den ihm freundlich Gesonnenen zu  verringern. Bleibt das Paar stehen, wartet auch er.

 

In einer am Ende des Strandes gelegenen Taverne lassen die beiden sich nieder, um zu Abend zu speisen. Zusätzlich zu der eigenen Mahlzeit bestellen sie einen stattliches, von Knochen durchsetztes  Stück Fleisch. Der Hund steht von ferne, Kopf, Ohren und Schwanz gesenkt,  die Augen glimmend in unerfülltem Sehnen. Das Bestellte wird gebracht. In herzlicher Geberfreude ergreift die Frau das Fleischstück. Voller Hoffnung nähert sich das Tier. Da schießt es mit einem das Blut in den Adern zum Stehen bringenden Kreischen unter dem Tisch hervor. Aufblitzende Krallen beherrschen das Feld, funkelnde Augen und gesträubtes Fell: Zwei Katzen verteidigen nach Katzenart ihr Revier. Im Augenblick ist der Hund verschwunden. Verwirrt schaut das Menschenpaar sich an. Verwirrt schauen ebenfalls die Katzen, weil trotz ihres Sieges überhaupt nichts zu Boden fallen will. Das mehrfach erstrebte Fleischstück nämlich wird wieder eingepackt. Vielleicht zeigt sich  ja noch  ein anderen Hund.

 

So werden die Schatten  länger.  Die Enttäuschung des verjagten Tieres versinkt im Rauschen des Meeres. Als die beiden Tierfreunde den Rückweg antreten, ist es  Nacht.

Am Ende des Strandes, dort, wo der Weg ins Land einbiegt, steht dann der Hund. Die Frau hat ihn zuerst gesehen. Bewegungslos, den Kopf  gesenkt und dennoch die Augen verlangend in die Dunkelheit  gerichtet,   wartet das Tier,  eine Silhouette  herzzerreißender Ergebenheit in die Unabänderlichkeiten des Seins. Dann liegt das ersehnte Fleischstück, betäubende Gerüche aussendend, auf einem Stein. Noch immer rührt sich nichts. Noch immer bleibt alles still in bebender Erwartung.  Dann aber springt es wie ein rasender Schatten aus der Dunkelheit, steht mit erhobenem Schweif über dem Stein, und weithin ist es nun zu hören, wie sich krachend und mahlend endlich, endlich die Sehnsucht so vieler langer Tage und Nächte erfüllt.

 

Nach wenigen Sekunden steht ein zweiter Schatten neben dem Stein, etwas kleiner, etwas schmaler, sonst die gleiche zwischen Sehnen und Entbehren abgemagerte Gestalt. Die Frau macht eine Bewegung, als wolle sie das noch Verbliebene zugunsten des Neuankömmlings etwas rücken.  Sie bewirkt jedoch  damit ein an die Empörung der Katzen erinnerndes, sie zutiefst erschreckendes  Knurren. Angstvoll fährt sie zurück, und geduldig, den Kopf, die Ohren, den Schwanz  gesenkt, wartet der kleinere Hund, bis alles ohne sein Teilhaben verzehrt ist.

 

Als die beiden Wohltäter sich schließlich zum Gehen wenden, stehen die Hunde in Eintracht nebeneinander und schauen den Davonziehenden nach mit todtraurigem Blick.

 

 

Katze

 

Eine junge Urlauberin hat tagsüber die Balkontüre ihres hoch über einem Dächergewirr gelegenen Hotelzimmers offen gelassen. Beim  abendlichen Heimkommen entdeckt sie neben der geöffneten Tür eine schwarz - weiß gefleckte Katze. In ihrem bisherigen Leben hat sie noch nie etwas mit Tieren zu tun gehabt, schon gar nichts mit Katzen. Erfüllt von Berichten über mögliche Krankheitsübertragungen, fühlt sie sich versucht, die Katze mit einer heftigen Bewegung von dannen zu jagen. Unbeweglich aber sitzt das Tier, jeder Muskel gespannt, den Schwanz mit der weißen Spitze im Halbkreis um die ordentlich nebeneinander gestellten Vorderpfoten gelegt und tiefer Ernst in den fremden, grünen Augen. So verharrt auch das Mädchen ebenfalls ohne Bewegung und schaut mit fragendem Blick. Schließlich, jede Berührung mit dem Tier vermeidend, stellt sie einen Teller mit einem Joghurtklecks auf den Boden. Die Katze aber, den Blick ins Leere gerichtet, zeigt keine Reaktion. Das Mädchen wendet sich schließlich ab, um sich erst nach langer Zeit wieder wie zufällig nach dem Tiere umzuschauen. Im Zuge eines ausgedehnten sich Reckens und Dehnens  hat die Katze inzwischen den schmalen Kopf zwischen  die mageren Schultern gesenkt und begonnen, das Bereitgestellte ohne Anteilnahme zu umschnuppern. Ohne Anzeichen der Freude über das Dargebotene, ohne jedes begleitende Geräusch verzehrt das Tier endlich  die wer weiß wie lange schon ersehnte Mahlzeit. Als der Teller am Ende derart gesäubert ist, als habe er nie mit irgendeiner Speise eine  Berührung gehabt, beginnt die Katze, sich mit  weichen, wie selbstvergessenen Bewegungen das Fell zu glätten, die Pfoten, die Beine, den Leib. Für lange Zeit ist es, als habe nun der Mensch seine Bedeutung verloren. Schließlich sitzt das Tier wieder so, wie es am Anfang gesessen hat, aufrecht, gespannt, den Schwanz um die zusammengestellten Vorderpfoten geringelt, den Blick  auf das Mädchen gerichtet in rätselvoller Aufmerksamkeit. Dann aber, urplötzlich, ist die Besucherin über das Balkongitter auf eine für menschliche Vorstellungskraft nicht nachvollziehbare Weise im Gewirr der Dächer, Schornsteine und Geländer wie für immer verschwunden. Nachdenklich bleibt das Mädchen noch eine Weile auf dem Balkon stehen.

Am folgenden Tage läßt es die Balkontüre wiederum ein wenig offen.

 

Zikaden

 

Ein Tier nur hat der Mensch in Griechenland sich nicht umschaffen und unterwerfen können: Wenn die Nacht  das  Land  umhüllt, wenn dieses antwortet mit seinen verborgenen Düften, dann beginnen die Zikaden ihr langes, helles Lied. Aus den toten Gräsern, aus den harten Kräutern singen sie von der Sehnsucht des Landes nach dem, was einmal war und was verloren ist für immer. Unaufhörlich singen und klagen die unsichtbaren Sänger durch die silberne Dunkelheit der Nacht.

 

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