Griechische Sommerbilder

 

 

Vor rund ein und ein halb Jahrtausenden wurde Hellas nicht von Menschen heimgesucht und besetzt, sondern von einem fremden Gott. Diese Besetzung erwies sich als die dauerhafteste.

 

D e r  f r e m d e  G o t t

 

Bevor  die Venezianer ins Land kamen, war Griechenland für viele Jahrhunderte  eine abgelegene,  für jegliche Art von Einwanderungen offene Provinz  des oströmischen, d.h., des Byzantinischen Kaiserreiches.

 

Byzanz bezog seine geistige Stärke aus den Lehren des Christentums. Rigoros  verdrängte der christliche Kaiser die angestammten Götter seiner Untertanen und zwang ihnen den aus Wüstenlanden stammenden fremden Gott auf. Auch in Griechenland war das  möglich, weil die  Hellenen  zu dieser Zeit schon lange ihre Kraft verloren hatten und ihre alten Götter nicht mehr verteidigen konnten.

 

 

 

Die Grotte des Johannes

 

Der fremde Gott kam zunächst nicht unwidersprochen. Die zur Zeit seines Einzuges  in die Mittelmeerwelt noch ungeteilten  Römer empfanden ihn als  Reichszerstörer und  verfolgten  seine Anhänger mit allen ihren Kräften.

 

Einer dieser Anhänger, ein Greis mit Namen Johannes,  suchte damals Schutz vor seinen Verfolgern auf der Insel Patmos. Auf Patmos stand zu dieser Zeit noch ein Tempel der Artemis. Der vor den rächenden Erynnien bei der Göttin Zuflucht erhoffende  Orestes soll ihn einst errichtet haben. Erhoffte der bedrängte Greis etwa ebenfalls Beistand von der Göttin? Wir wissen es nicht. Johannes  berichtet uns nur, was ihm sonst auf Patmos geschah:

 

„Ich geriet.... in Verzückung und hörte hinter mir eine starke Stimme wie von einer Posaune, die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch.“ (Offenbarung des Johannes 1,11

 

Der fremde, für Menschenaugen unsichtbare  Gott, welcher Welt und Menschen trotz deren Unzulänglichkeiten als seine ureigenste  Schöpfung erklärte, zeigte dem erschreckten Greis, was er, der Allgewaltige, der Alleinige  seinen Geschöpfen   sichtbar zu machen für tunlich hielt: Von seinem Thron  gehen ununterbrochen Stimmen, Blitze und Feuer aus. Vier, ehemals stolze, selbstherrliche Wesen, ein Löwe, ein Stier, ein Mensch und ein Adler umstehen den Thron, „kennen keine Ruhe und sprechen Tag und Nacht: 'Heilig, heilig, heilig ist der Herr', der allmächtige Gott, der war und der ist und der kommt.“ (Offb. 4,8)

 

Diese Art der Huldigung aber ist dem Gewaltigen nicht genug. Er will seine Herrlichkeit von allen seinen Geschöpfen bestätigt haben. Daher war er   den Sterblichen als Sterblicher, als „Sohn“ seiner selbst, erschienen. Zunächst hatte er den Verängstigten ihre Verwerflichkeit vor Augen geführt, ihnen aber anschließend ein Angebot gemacht, welches er nun vor Johannes noch einmal ausdrücklich wiederholte:  Diejenigen, welche die ihnen anerschaffene Menschennatur mit all ihren Rissen und Sprüngen abzustreifen willens waren, würden Teilhaber werden am Strahlenkranze der göttlichen Herrlichkeit.  Zum Zwecke des ununterbrochenen Lobpreises sollten sie Bürger werden in des unsichtbaren Gottes Wohnstatt, im  edelsteinfunkelnden, kristallklaren Jerusalem. Ablehnenden aber, denjenigen, welche bockbeinig an dem, was sie nun einmal hatten, nämlich an ihrer Menschennatur, festhielten, denen drohte der Unsichtbare Furchtbares an: Als Feiglinge, als Ungläubige, als Befleckte, als Mörder, als Unzüchtige, als Zauberer, als Götzendiener und als Lügner sollten sie in einen eigens für  sie bereiteten Feuersee geworfen werden, welcher ab nun von Ewigkeit zu Ewigkeit von Feuer und Schwefel brennt. (Offb. 21, 8)

Die Legende berichtet, daß Johannes sich zum Zwecke des weiteren Schauens und  Niederschreibens  in eine Felsenhöhle der Insel begab, wo  er sich vor den Berührungen des sichtbaren Himmelsgottes sicher glaubte. Diese Höhle ist nun all denen, welche sich dem unsichtbaren Gott des Schreibers ergebenen haben, bis zum heutigen Tage ein geheiligter Ort.

 

Den Blick noch durchtränkt vom  Lichte des Himmlischen, steigt der Besucher die vielen engen Stufen des Höhlenklosters der Apokalypse hinab. Blumenranken, welche auf den weißen Wänden schwankende Schatten werfen, begleiten den von Bögen überdachten, zunehmend kühler und verhangener werdenden Weg. Mit düsterem Ernste wird der Eintretende dann in der  zur Kapelle gestalteten Grotte des Johannes umfangen. Zunächst werden die Blicke zu dem Ort gelenkt, wo der Heilige einst vom Schauen und Schreiben ausgeruht haben mag. Ein aus dem Boden tretendes Felsenstück könnte sein ermattetes Haupt getragen haben. Ein etwa handgroßer Spalt in der angrenzenden Felswand, vom Liegen aus mit gestrecktem Arm zu erreichen, mag dem Seufzenden beim Aufrichten aus der Ruhelage behilflich gewesen sein. Die heilige Stätte, um sie vor allzu abnutzender Verehrung der Gläubigen zu bewahren, ist durch ein goldenes Gitter geschützt.

 

Hebt sich der Blick, so trifft er auf den tief herabhängenden Höhlenfels, welcher,  wie die Legende berichtet,  durch die Gewalt der göttlichen Stimme einst  in drei Teile zerspalten wurde und nun  wie schweres Gewölk alles unter ihm Befindliche zu erdrücken droht. Dicht gedrängt aber stehen hier Tag für Tag die meist von weit übers Meer gekommenen Frommen, der Blick verhangen zwischen Bangigkeit und Sehnen.

 

Pantokrator

 

Der „Sohn“, die Gestalt, in welcher der Unsichtbare seinen Geschöpfen sichtbar geworden war, ist des Unsichtbaren Abbild und gleichzeitig der Unsichtbare selbst. Wer wollte da zu räsonnieren wagen?

Er, der Allgewaltige, ist Raum und Zeit nicht unterworfen. So ist er sich immer gleich. So kann  auch sein Abbild weder durch Raum noch durch Zeit gewandelt werden. Wo immer man im christlichen Osten ein Gotteshaus betritt, blickt der „Sohn“ als der Allesbeherrscher, als der  „Pantokrator“ in immer gleicher Weise aus goldener Himmelskuppel auf sein Gottesvolk herab.  Mönche, welche, sich selbst entrückt, fähig wurden, das Unnahbare, das Un - menschliche des „Sohnes“ zu erspüren, haben,  ohne je Eigenes hinzuzufügen, diese Abbilder des Unsichtbaren gemalt.

 

 

 

Unter schweren Lidern, aus geheimnisvollen Tiefen schauen  die Augen des Allherrschers  aus fremder Ferne, ohne mit dem, der in ihnen Trost sucht, eine Verbindung aufzunehmen.

Allein das  dunkle Haar, der  dunkle Bart, die abwärts gerichteten Winkel des schmalen Mundes sowie  die tiefen, das hagere Antlitz durchziehenden Falten  weisen auf den von unten Schauenden in düsterer Mahnung. Von dem in weite Gewänder gehüllten Leib sind nur die zerbrechlichen  Hände sichtbar. Die Rechte formt mit Daumen und Ringfinger ein Kreuz. Die Linke hält das bis zu der Welt Ende für menschliches Denken und Sinnen allein maßgebliche Buch.

 

Wer aber aus dem Dunkel des Kirchenraumes zu diesem hier aufschaut, hat es leicht, für eine Zeit seiner ruhelosen Menschennatur zu vergessen, um sich empor zu tasten zu dem, welcher für ewig ruht. Wer hier allein steht unter der  schimmernden Himmelskuppel des Reinen, dem wird ohne sein Zutun alles Unreine seines Wesens zu Nichts für eine kleine Zeit. Wer sich hier hinaufsehnt in die golddämmrige Höhe des Ewigen, der mag es spüren für einen Augenblick, das  kristallklare, das goldstrahlende Jerusalem.

 

Zerstörer

 

Als der neue Gott gesiegt hatte, wurden seine Anhänger  von Verfolgten zu Verfolgern. Vor allem in der oströmischen - byzantinischen Provinz Achaia, in Griechenland, wurde das, was bisher das Gute gewesen war, zum Bösen und das bisher Böse zum Guten erklärt. Die Tempel wurden entweder in Basiliken umgewandelt oder sie wurden  abgerissen, um an Baumaterial für  weitere Basiliken zu gelangen. 

 

 

 

Die Götterbilder wurden zerstört. Unzähligen Skulpturen wurden die Köpfe abgeschlagen, die Gesichter zertrümmert oder wenigstens auf gewaltsame Weise die Nasen entfernt.

 

Heraion

 

Der  am meisten bewunderte Tempel der Hellenen war der Tempel der Göttermutter Hera auf der Insel Samos. Mit seinen Säulen, welche doppelt so hoch waren wie die Säulen des Parthenons, war der Tempel des samischen Heraions der größte in Hellas. Der Eindruck  muß überwältigend gewesen sein.

Für rund ein Jahrtausend bewohnte die mütterliche Göttin ihr gewaltiges Haus, spendete allen, die kamen, Hilfe, Heilung und Lebensmut. Immer wieder neue Machthaber schlugen auf Samos ihre Wohnsitze auf, herrschten über die Inselbevölkerung, ein jeder auf seine Weise. Keinem von ihnen aber kam es in den Sinn, das Heiligtum der Göttin ernsthaft anzutasten. Im Gegenteil brachten sie alle der Göttin ihre Verehrung dar, indem sie den Tempelbezirk weiter durch eigene Bauten verschönten. Die Zerstörungen der häufigen Erdbeben wurden immer wieder beseitigt.

 

Erst mit Erscheinen des neuen Gottes begann die heilige Stätte zu veröden, blieb das vom Erdbeben Zerstörte für immer liegen. Schließlich tauchten an den Inselstränden Transportschiffe aus der Hauptstadt des christlichen Reiches auf. Der Tempel, soweit er den Erdbeben noch standgehalten hatte, wurde bis auf eine einzige Säule eingerissen und  das gewonnene Baumaterial nordwärts verschifft. Die Inselbevölkerung mußte sich aus den zurückgelassenen Trümmern auf dem heiligen Gelände eine eigene Basilika  errichten.  Das bronzene Standbild der Göttin wurde ebenfalls in die Hauptstadt gebracht, um es dort zum Beifall der Bevölkerung zuschanden zu schleifen.

 

Dann lag Jahrhunderte lang Vergessen über dem Heraion von Samos. Auch die Basilika inmitten fand keine Beachtung mehr. Nur die eine verbliebene Säule, die schweren Steintrommeln merkwürdig gegeneinander verschoben, ragte weithin sichtbar aus der von Erde und Gras wie für immer bedeckten heiligen Statt. Wenn Menschen kamen, dann nur, um aus dem überwachsenen Trümmerfeld Baumaterial zu holen für ihre bescheidenen Kapellen und Hütten.

 

 

 

 

Als im vorigen Jahrhundert die ersten Nordeuropäer nach Griechenland kamen, um nach  Spuren der als so verwandt empfundenen Hellenen zu suchen, wurde auch das Heraion von Samos zum Ort der Aufmerksamkeit. Am Anfang dieses Jahrhunderts übernahmen die Deutschen die Ausgrabungen. Für die Dauer des letzten Krieges ließen die Wissenschaftler ihre Arbeitsergebnisse in einem Magazin zurück. Nach dem Kriege war das Magazin ein Scherbenhaufen. Dennoch dauern die Arbeiten der Deutschen  an.

Heute ist das Heraion  durch einen Zaun von der versengten Öde ringsum unterschieden. Die Touristen kommen, um, versehen mit Lageplänen und Erläuterungen, eine Zeit umherzuirren zwischen dem, was die Experten für Altertümer ans Licht gebracht haben: Zerschlagen, zerstört, zerwüstet liegt es da auf braunem, trockenem Boden, verteilt in totem, gelbdürrem Gras. Stumm schauen die Besucher an der noch immer riesenhaft anmutenden einzigen Säule empor, stehen verloren auf den zahlreichen Fundamenten weiterer Säulen und auf den marmornen Resten der Tempelmauern. Zuweilen streichen sie ratlos mit der Hand über einen der umher liegenden Steine, wenn sie Spuren einer Inschrift oder eines gemeißelten Musters entdeckt zu haben glauben. Am Beginn der sogenannten Heiligen Straße, auf welcher einst die Prozessionen der Inselbevölkerung in das Heiligtum einzogen, sind auf einem langen Sockel Kopien der wenigen hier noch aufgefundenen Statuen aufgestellt. Es sind Weihgaben von Frommen, welche der Göttin  ihre marmornen Abbilder zum Geschenk gemacht hatten. Die schönen, von faltenreichen Gewändern umhüllten Körper sind allesamt ohne Köpfe. Schnell wenden die wenigen Betrachter  die Augen wieder ab, als könnten sie den Anblick der sinnlos gewordenen Gestalten nicht lange ertragen.

 

Manche stehen eine Weile vor der verwitterten Basilika und grübeln über den aus so unterschiedlichen Teilen zusammengesetzten Mauern. Hier das Bruchstück einer plastischen Verzierung, dort der Teil einer Säule, hier wieder der Rest eines Kapitels. Nichts paßt zum anderen, alles wird nur vom Mörtel zu einem Ganzen zusammengehalten. Auch das Haus der fremden Gottes im Heraion von Samos ist nun Ruine, verlassen, ausgeraubt, vergessen. Und wie die vernichtete Wohnstatt der Göttin wird diese sengend umfangen von Helios, dem alles belebenden, alles zerstörenden, wahrhaft Allmächtigen in der Höhe.

 

Megali Panagia

 

Mit dem samischen Heraion verödete schließlich auch die gesamte Insel. Zur Türkenzeit war sie fast menschenleer. Die heute noch vorhandenen Wälder waren wieder aufgewachsen.  Schließlich setzte ein türkischer Admiral eine Neubesiedlung in Gang. Griechen zogen wieder in die Insel ein.

 

Zwei von ihnen, zwei Brüder, machten an einer tief im Walde versteckten Quelle einen merkwürdigen Fund: Unter Erde und Laub verborgen entdeckten sie ein kleines Keramikbild, welches eine Frau mit einem Kinde zeigte. Sie waren überzeugt, das Bildnis der Gottesmutter, der Mutter des Pantokrators, gefunden zu haben. Mit den Steinen, welche die verlassene Göttermutter Hera den Neuankömmlingen noch immer so reichlich aus ihrem schier unerschöpflich scheinenden Vorrat zur Verfügung stellte, wurde für das zum Heiligtum erklärte Bild am Ort seiner Entdeckung ein Kloster errichtet.

 

Auf der großen Marmorplatte des einstigen Tempelaltars, welche sich merkwürdigerweise zu diesem Zeitpunkt noch immer im Tempelgelände befunden hatte, standen nun in der Klosterkirche die Weihgeschenke für die Gottesmutter Maria, für  die Große Allerheiligste, die Megali Panagia, welche, selbst Mensch gewesen, die Nöte der verletzlichen Menschennatur ernst zu nehmen verspricht, welche nicht fordert, sondern heilt, welche mütterlichen Schutz gewährt vor den quälenden Drohungen des Feuers.

 

Reichliche Gaben der  Frommen ließen das in seiner Waldeseinsamkeit von Eingriffen der türkischen Landesbedrücker unbehelligte Kloster prächtig gedeihen. Rings um die Klosterkirche entstanden Unterkünfte für eine stattliche Anzahl von Mönchen. Schließlich konnte das Kloster sogar Schulen und Krankenhäuser der Insel unterstützen. In der Zeit des Aufstandes gegen die Türken dienten die Klosterräume den Rebellen als geheime Versammlungsorte, den Verfolgten als sichere Zuflucht. Die von gelegentlichen Piratenüberfällen und Bränden angerichteten Schäden konnten immer wieder behoben werden. Nur das bei einem dieser Brände vernichtete Bild der Gottesmutter war für immer verloren. Im Jahre 1947 verbrannte, ebenfalls unwiederherstellbar, die einst aus dem Heraion herbeigebrachte Altarplatte der vergessenen Mutter der vergessenen hellenischen Götter.

 

Im Jahre 1958 brach ein Waldbrand aus, welcher nicht nur den umgebenden Wald, sondern auch das Kloster der „Megali Panagia“ bis auf die Kirche in seiner Mitte vernichtete. Die Zerstörung des Klosters war so gründlich, daß  ein  Wiederaufbau zunächst ausgeschlossen erschien. Die Mönche zogen aus. Der einzige, welcher trotz der Verwüstungen  blieb, ist  wenige Jahre nach dem Unglück verstorben.

 

So liegt das Kloster der tröstenden Gottesmutter bis auf ganz wenige Versuche einer Wiederherstellung noch immer verbrannt, verwüstet, verlassen. Schwarz stehen im   Lichte des Glühenden die Mauern, welche einst aus Steinen der zerschlagenen Wohnstätte der  Göttermutter Hera aufgebaut worden waren, schwarz die Wände der Mönchszellen, zu deren leeren Fensterhöhlen es  gleißend hereinflammt von den kahlgesengten Hügeln.

 

Die Kirche aber,  in der Mitte der umgebenden Klostergebäude gelegen und so von diesen getrennt, hat den Flammen  standgehalten und erfüllt weiterhin ihre Aufgabe als christliches Gotteshaus. Allsonntäglich wird hier Gottesdienst gehalten. Von weit her kommen  die Inselbewohner, um in der Klosterkirche einem neuen Bild der Panagia nahe zu sein. Sie stören sich nicht daran, daß  die kostbaren, jahrhunderte alten Fresken an den Wänden der Seitenkapelle vom Rauch geschwärzt sind, erloschen alle die bunten Bilder aus dem Erdendasein des Pantokrators, verwischt das Dunkelgold  seiner erwarteten Wiederkehr am jüngsten Tage. Auch scheinen es die Andächtigen  nicht zu bemerken, daß die Umrisse des göttlichen Sohnes kaum mehr auszumachen sind in der rußbedeckten Himmelskuppel, daß der Blick des Höchsten, wie aus dunklen Tiefen kommend, noch düsterer herabdroht aus der feuergedunkelten Höhe.

 

An der Kirchenpforte werden an die Besucher kleine Schriften über die Klostergeschichte verkauft. Darin ist ein Brief des inzwischen verstorbenen Metropoliten von Samos an die Samioten des In - und Auslandes abgedruckt. In diesem Brief heißt es:

 

„Wie können wir dieses Kloster wieder aufbauen, das unserer Insel so unendlich viel bedeutet hat...?

Wir bitten Sie, helfen Sie uns, auf welche Art auch immer. ....

Fordern Sie alle zur Hilfe auf, und bitte, handeln Sie rasch. Das Erbe, die Wurzeln unseres Volkes und unserer Traditionen müssen mit allen Mitteln erhalten und bewahrt werden. Heute bietet sich Ihnen eine gute Gelegenheit. Was immer Sie zu spenden beschließen sollten, von dem, was Sie ersparen und erübrigen können, schicken Sie es an unsere Metropolie.“

(Georgios K. Angelinaras, Das Kloster der großen Mutter Gottes Megali Panagia in Samos, Samos, 1991, S, 78)

 

 

Engel

 

Ringsum sind die orthodoxen Kirchen mit Abbildern derer ausgeschmückt, welche das bebende, das irrende Selbst endgültig besiegt zu haben vorgeben und meinen, dem Fordernden, dem Einen, dem Pantokrator gleich geworden zu sein. Die vom Himmelsgold umgebenen schmalen Köpfe der  Heiligen sind zur Seite geneigt. Die hohen, hageren Stirnen tragen kein Haar. Die  bunten Gewänder liegen schwer auf den zerbrechlichen Schultern.  Mit tiefdunklen, weit geöffneten Augen aber suchen sie nach den Irdischen, um diesen den schweren Weg zu weisen, welchen sie selbst gegangen sind.

Wie die Abbilder des Pantokrators sind die Abbilder der Heiligen immer gleich durch alle Zeiten und Räume.

 

Gelegentlich aber trifft man in einer orthodoxen Kirche auch auf ein Bild wie dieses:

Von schimmerndem Blau umgeben schwebt ein Engel auf den Betrachter zu. Das junge, von dunkelblonden Locken gerahmte Gesicht grüßt den Besucher aus dem Norden mit vertrautem Blick. Der muskulöse Leib ist in der Art der hellenischen Krieger bekleidet, die Brust  von einem Lederwams, die Lenden von einem kurzen Schurz bedeckt. Ein rötliches, um den Leib geschlungenes Tuch, mit seinen losen Enden in der Himmelsbläue  wirbelnd, weht neben den weit ausgespannten schwanengleichen Engelsflügeln einher. Die Füße stecken in braunen Lederstiefeln, an denen man versucht ist, nach zusätzlichen Flügeln nach Art des einstigen Götterboten zu suchen. In der Hand hält der Schwebende ein goldenes Schwert, von dessen Spitze lange Strahlen ausgehen, wie,  um es dem strahlenschleudernden  Himmelsgott da draußen gleich zu tun.

 

 

Johanneskloster

 

Bald nach dem Sieg des neuen Gottes wurde auch der Artemistempel hoch oben auf dem  Berge  der Insel Patmos abgerissen, um ihn in eine Basilika umzuwandeln. Die zu der Zeit zunehmend um sich greifenden Mißordnung aber lockte bald darauf arabische Seeräuber an, welche   nicht nur die Häuser der wehrlosen Inselbevölkerung, sondern auch das christliche  Bethaus  zuschanden richteten. Auch Patmos wurde so gut wie menschenleer. Im Gegensatz zu Samos aber wuchsen auf Patmos keine neuen Wälder auf, sondern  die Insel verkam zu jener wasserlosen Öde, die wir auch heute noch auf ihr vorfinden.

 

Um auch in diesem entlegenen Teil des Reiches die kaiserliche  Allgegenwart augenfällig werden zu lassen, machte der byzantinische Kaiser um das Jahr 1000 die Insel Patmos zusammen mit weiteren verlassenen Inseln ringsum einem  Jünger des Herrn mit Namen Christodoulos zum Geschenk.  Christodoulos begab sich mit ihm zugegebenen Begleitern umgehend zum patmischen Tempelberg  und begann, aus den schon einmal ihrem Zweck entfremdeten  Steinen dem unvergessenen Grottenheiligen Johannes ein Kloster zu bauen. Christodoulos soll die noch unversehrte Statue der Artemis  auf dem Tempelgelände vorgefunden haben. Verbotenerweise sei er der „hohen Kunst“ der heidnischen Bildhauer noch für eine Zeit erlegen gewesen, ehe er das Götzenbild, erfüllt von heiliger Abscheu, vernichten ließ.

 

Die Mühen, inmitten der glühenden Öde von Patmos ein Kloster zu bauen, wozu die vorgefundenen Tempel - bzw. Basilikateile bei weitem nicht ausreichten, müssen ungeheuer gewesen sein, zumal das zu errichtende Bauwerk angesichts der auch jetzt nicht abreißenden Piratenüberfälle eher einer Festung  als einer Herberge für Gottesmänner gleichen mußte.

 

Einer dieser Überfälle schließlich war so gründlich, daß die verängstigten Arbeiter allesamt das Weite suchten und Christodoulos ihnen notgedrungen folgen mußte.  Enttäuscht starb er alsbald fern seines mit so viel Inbrunst begonnenen Lebenswerkes. Andere aber, die wundertätigen Gebeine des Klostergründers im Gepäck, setzten die schwere, aber Heil verheißende Arbeit fort. Die  Klosterfestung wurde vollendet. Eine Siedlung rund um das Kloster entstand. Ein Hafen wurde angelegt, von welchem aus alsbald eine ganze Flotte von Handelsschiffen entsandt werden konnte. Das Johanneskloster von Patmos, welches sich mit seinen von unten her gesehen buchstäblich himmelhohen Mauern für alle weiteren Eroberungs - und Plünderungswünsche als uneinnehmbar erwies, sogar den immer wiederkehrenden Erdbeben widerstand, wuchs an zu einem Machtzentrum im ostägäischen Meer. In seiner Glanzzeit umfaßte das Kloster der heiligen Insel an die 150 Insassen. Es waren Entsagende, sich selbst Erniedrigende und dennoch   Herren.

 

Während der Türkenzeit erwies sich das Kloster nicht nur als steinerne, sondern auch als eine immaterielle Festung für die Bedrängten. Die Mönche, welche bisher vollens damit beschäftigt waren, die Erfordernisse der Klosterherrschaft mit den Forderungen ihres allgewaltigen Gottes in Einklang zu bringen, wandten sich ihren von Ungläubigen geistig niedergehaltenen Volksgenossen zu und gründeten im Jahre 1713 auf Patmos eine Schule für Hochbegabte, von welcher ein russischer Reisender schreibt:

 

„Die Insel Patmos ist jetzt überall berühmt, weil für die versklavten Griechen unter muselmanischem Joch diese Schule den Platz des antiken Athen eingenommen hat.“

(Tom Stone, Patmos, Athen, 1984, S. 30)

 

Außerdem  mischten sich die Mönche von nun an täglich unter das bisher streng gemiedene Inselvolk, um ihm Kraft zum Durchhalten zu verleihen, Stolz auf das Eigene, damit es durch die Abwertung der Fremden nicht an Wert verliere, Mut, den Besatzern wenigstens im Herzen zu widerstehen.

Mehrere Schüler der Klosterschule von Patmos haben später im Laufe der Befreiungskämpfe von sich reden gemacht.

 

Die Worte, mit denen die Klostergeschichte des samischen Klosters der Megali Panagia schließt, gelten auch für das Johanneskloster auf Patmos:

 

„In den düsteren Jahrhunderten der Sklaverei und Turkokratie konnte vor allem in den Klöstern der christliche Glaube unbeschädigt überdauern, und es waren die Mönche, die die Reinheit der griechischen Sprache erhalten haben. Sie haben den Glauben an eine Wiederherstellung der griechischen Nation immer wieder wachgehalten, haben unverdrossen Sprache und Kunst gepflegt und die alten Traditionen und Tugenden unseres Volkes hochgehalten, die das griechische Volk vor einer Verrohung und einem geistigen Verfall gerettet haben.

 

Aus der monastischen Tradition sind leuchtende Vorbilder der orthodoxen Kirche hervorgegangen. Bedeutende Kirchenväter, Lehrer und Kämpfer für die Freiheit unseres Volkes entstammen dem Mönchsorden. Sie haben nicht nur die griechische Orthodoxie bereichert, sondern auch unser nationales Selbstbewußtsein gestärkt.“ (Klosterführer des Megali Panagia Klosters auf Samos, S. 70 f.)

 

Klostermauern

 

 

 

Und noch immer ist Patmos die heilige Insel der Mönche. Wie eine Zwingburg umschließen  die mit Scharten und Zinnen versehenen Klostermauern den einstigen Tempelberg und  beherrschen von ihrer alles überragenden Höhe aus die kleinen, in dornenbedeckten Hügeln und Halbinseln verborgenen Ortschaften. Wenn es heute auch nur noch an die dreißig Mönche sind, welche die klösterlichen Zellen bewohnen, noch immer gehört  fast die gesamte  Insel dem Kloster. Die Mönche entscheiden, was auf Patmos geschieht.

 

Alltäglich zwängen sich die  Besucherströme durch das Innere des Klosters, durch die niedrigen Torbögen und gewundenen Gänge, über die engen, verwinkelten Treppen, vorbei an weißen Mauern und Nischen, welche alle geschmückt sind mit den unerläßlichen, leicht im warmen Winde schwankenden Blumenranken. Bereitwillig weisen die Mönche die beklommen Schweigenden in das ein, was ihnen als das Bild des anderen, des kaum Vorstellbaren und dennoch so heiß Ersehnten erscheint: in Räume, von deren altersgedunkelten Wänden die Heiligen mit ihren tiefernsten Augen nach den Ankommenden suchen, in dämmrige, aus unsichtbaren Lichtquellen schimmernde Hallen, wo die  kostbaren, nie von unbefugter Hand berührten Klosterschätze  hinter Glas aufbewahrt werden.

 

 

 

 

 

Hier und da mögen diese Bilder den einen, den anderen der hier blind Hereingespülten ergreifen. Hier und da mag ein leeres Herz erfüllt werden von den beklemmenden  Wünschen des fremden Gottes, welcher schon seit zwei Jahrtausenden die Insel Patmos zu seinem Eigentum erklärt.

 

Mönch

 

Hoch auf den Zinnen des Klosters aber ist man den düster - goldenen Himmeln des  unsichtbaren Gottes entrückt. Von Horizont zu Horizont spannt sich das helle, von Helios erfüllte Blau. Es ist das Blau. in welchem auch die Frommen zuweilen die Wünsche des fremden Gottes vergessen, um sich in  Sehnsucht zu verlieren nach denen, die nicht sterben und dennoch den Sterblichen gleichen.

 

Was mag in dem jungen Mönch vorgehen,  welcher am Abend von den Zinnen seines Klosters herabblickt auf das unter ihm ausgebreitete Meer? Auf den fernen, sich  violett färbenden Abendschleier, welcher die zarten Inselketten ringsum in sich einzuschließen beginnt?

 

In dem schwarzen Gewand, welches die kräftige Gestalt umhüllt, spielt der Wind. Das  Haupt, von langem, zum Knoten zusammengebundenen Haar und der hohen Mönchshaube bedeckt, ist  hoch erhoben. In den dunklen Augen  glühen  allein die   Strahlen des scheidenden Lichtes.

 

Festmahl

 

An dem kleinen Hafen einer von Reisenden noch nicht gänzlich überschwemmten Insel befindet sich eine Taverne. Auf der großräumigen Terrasse vor dem niedrigen Haus stehen weiße Tische und Stühle. Eine Platane, deren dicht bewachsene Zweige bis tief zu den Tischen herabhängen, schützt die darunter Sitzenden vor den Härten des Lichtes. Ein schön gedrechseltes, weiß gestrichenes Holzgeländer, von Weinlaub umrankt, begrenzt den Platz zum Hafen hin und läßt das tiefblaue Wasser hindurchleuchten, welches in kleinen verspielten Wellen an die Hafenmauer schlägt.

 

Von irgendwoher werden die Zweige des Baumes, werden die Blätter der verschlungenen Ranken von den zehrenden Wünschen der griechischen Musik durchglüht, welche  immer nur weit draußen überm Meer ihr Ziel und ihre Erfüllung finden.

 

Der Tag ist im Steigen. Mehrere Tische sind zu einer Tafel zusammengestellt. Es wird für eine stattliche Anzahl von sich nach und nach einfindenden Gästen aufgedeckt. Es sind an die fünfzehn Mitglieder einer hier ansässigen Familie, welche  irgendein Familienereignis zu feiern im Begriff sind und den Ortsgeistlichen dazu eingeladen haben. In den ernsten Mienen der Männer scheinen allein die dunklen Augen von Leben erfüllt. Die Frauen halten die von Spitzentüchern bedeckten Köpfe gesenkt. In den gesunden Gesichtern der Jungen mischen sich Bescheidung, Erwartung und Stolz. In andächtiger Gefaßtheit warten sie alle hinter ihren Stühlen stehend, bis der Geistliche kommt und als erster am obersten Ende der Tafel Platz nimmt. Schön legt sich das   blaue Priestergewand um seine Gestalt. Mit erhobenem Haupt trägt er die hohe  Kopfbedeckung des Geistlichen. In seinem alterslosen, von weißem Haar und Bart gerahmten Gesicht stehen gleichermaßen  Fürsorge für die ihm Anvertrauten sowie Freude über das nun in mehreren Gängen aufgetragene Mahl. Das Mahl besteht aus Brot, Fisch, Wein und Früchten, was alles ihm als dem Haupte der Tafel als erstem vorgelegt wird.

 

Die Gespräch werden leise geführt. Meist sprechen, immer zum Geistlichen gewendet und seine eingeworfenen Verlautbarungen mit einbeziehend, die Männer. Die Frauen, die Gesichter leuchtend wie von einem verborgenen Lichte berührt, schweigen und haben die Blicke auf die Mahlzeit gerichtet. Die Kinder, die Wangen rosig von der überfließenden  Wärme ringsum, schweigen ebenfalls. Nur ganz selten, als müßten sie sich ein Geheimnis anvertrauen, wispern sie sich etwas zu und lächeln.

 

Weit ist  das eisklare Jerusalem, fern der brennende Feuersee mit seinen Drohungen und Schrecken.

 

Friedhof

 

Die Gräber der heutigen Griechen sind meist mit weißem Marmor bedeckt. Dicht an dicht liegen die im  Lichte hell schimmernden Platten nebeneinander, auf jeder Platte ein Namensschild und eine Glasvitrine, in welcher ein mit Blumen geschmücktes Bild des hier Ruhenden aufgestellt ist. Vertraut, so, als sei gar nichts Einschneidendes geschehen, blicken die Augen der Davongegangenen auf die, welche kommen, um mit bunten Kränzen, mit Sträußen und mit Blumenranken überschwenglich ihre nie erlöschende Liebe und Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen. Ferne ist der Gott, welcher vorgibt, sich aller Toten zu bemächtigen, um sie für alle Ewigkeit entweder dem Feuersee oder dem kristallenen Jerusalem zuzuführen.

 

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